20 Tipps für eine solide, permanent bessere Orchesterklangentwicklung

„Orchester haben keinen eigenen Klang; den macht der Dirigent“ lautet eines der wahrscheinlich bekanntesten Zitate des unvergessenen Stardirigenten Herbert von Karajan. Deshalb ist es so wichtig, dass Dirigent:innen sich permanent um den Klang bzw. um dessen Verbesserung und Entwicklung kümmern und daran arbeiten.

Eine permanente „Klangarbeit“ ist nicht nur möglich, sondern sie ist auch die notwendige Grundlage für eine erfolgreiche Orchesterarbeit und letztlich auch die Basis für die Entwicklung einer guten Klangvorstellung aller Orchestermusiker:innen. Klangstärke, Klangteppich, Klangideal, Klangvielfalt, Klangwelten, Klangschulung, Klangfarben, Klangausgleich etc. – Nikolaus Harnoncourt sprach sogar von „Klangrede“ – all diese Begriffe zeigen die Bedeutung und das Spektrum eines optimalen Orchesterklangs sowie die Notwendigkeit, dass Dirigent:innen sich diesem umfangreichen Thema permanent stellen. Hinzu kommen selbstverständlich auch die Aspekte der Sitzordnung und des Raumklangs. Natürlich sind diese „20 Tipps“ nicht vollständig, sie können aber zumindest dazu anregen, sich erneut oder weiterhin mit diesem wichtigen und äußerst spannenden Thema motiviert zu beschäftigen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass bereits diese Tipps helfen können, den Klang eines Orchesters zu verbessern.

Die Balance:

1. Das Blech (oftmals besonders die Trompetengruppe bzw. die Flügelhörner, Cornets) soll, bildlich formuliert, wie hinter einem dünnen Vorhang spielen. Kontrollieren Sie den Klangausgleich.
2. In Tuttipassagen sollten Blech und Schlagzeug besser eher meno forte spielen, wobei das Schlagzeug fast immer eine Klangergänzung zum restlichen Orchester sein soll oder eine Verzierung, idealerweise ein sensibler Verstärker (siehe: Hören Punkt 3).
3. Die Mittel- und Bassstimmen (Tuba und tiefes Holz) sollten mit den Klarinetten den Klang und die Balance bestimmen. Deshalb müssen diese Stimmen (besonders die Bassstimmen) die treibende Kraft im Orchester sein!
4. Die tiefen Stimmen in den einzelnen Registern sollten für eine gute Balance zahlenmäßig überlegen sein. Sorgen Sie für diese Ausgewogenheit!
5. Achten Sie darauf, den ganzen Raum mit großem Klang zu füllen, insbesondere mit obertonreichen Akkorden und guter Intonation. Kontrollieren Sie dabei auch die Verteilung der Akkordtöne, damit ausgewogen Grundtöne, Terzen etc. vorhanden sind und ein ausbalancierter Klang entstehen kann.

Die Atmung:

1. Geben Sie in jeder Probe Hinweise für die Verbesserung der Atmung; fordern und fördern Sie gemeinsames oder organisiertes Atmen.
2. Weisen Sie darauf hin, dass die Luft den Ton trägt. Deshalb sollen die Musiker:innen versuchen, mit einem möglichst üppigen Luftpolster (siehe Artikulation unter Punkt 3) zu spielen.
3. Achten Sie darauf, dass intensiv und gut abgestützt geatmet wird, aber ohne Verkrampfungen oder Einengungen.
4. Helfen Sie, auf eine gute Haltung und offene Atmung zu achten, damit sich ein guter Klang entwickeln kann.
5. Intensivieren Sie die Beachtung einer ausgereiften, phrasenorientierten Atmung und motivieren Sie zu einem kontrollierten und effizienten Luftverbrauch.

Die Artikulation:

1. Die Artikulation sollte sehr weich, auf Luftpolster aufgebaut, mit wenig oder manchmal keiner Zunge, insgesamt eher breit ausgeführt sein.
2. Beachten Sie, dass keine zusätzlichen Betonungen gespielt werden und im Holzregister fast durchweg weich und rund (z. B. den Streicherklang imitierend) artikuliert wird.
3. Motivieren Sie ihre Musiker:innen dazu, die Abschlusstöne immer mit viel Klang und federnd zu spielen (siehe: Atmung unter Punkt 2 „Luftpolster“). Staccato – Anweisungen sind eher durch Portato zu ersetzen, um quasi wie ein „Orchesterpedal“ einen Nachklang zu erzeugen, ähnlich einer ungedämpften Pauke, bei der ein Nachklang mit natürlichem decrescendo entsteht.
4. Regen Sie dazu an, darauf zu achten, dass bei unterschiedlicher Stilistik auch unterschiedlich artikuliert wird.
5. Beachten Sie, beispielsweise bei der Melodiegestaltung, eine Ausgewogenheit der jeweiligen Register bezüglich Artikulation, Vibrato und der Spielweise.

Das Hören:

1. Die einzelnen Register müssen lernen, aufeinander zu hören! Hinhören und reagieren; das macht den Orchesterklang aus!
2. Achten Sie intensiv auf die Mischklänge, damit alle Klangfarben wahrgenommen werden können und der Klang immer moduliert und abwechslungsreich gestaltet werden kann.
3. Gestalten Sie ein Orchestercrescendo bzw. ein Orchesterdecrescendo immer kontrolliert und motivieren Sie ihre Musiker:innen zum genauen Hinhören. Bei einem Orchestercrescendo beispielsweise hört man bei einer Unterbesetzung des Holzregisters ab Mezzoforte oftmals nicht mehr viel vom Holzbläserklang. Deshalb gilt als Orientierung: Erst wenn das Holz in seinem tragfähigen Forte angelangt ist, sollte das Blech (und Schlagzeug) das Crescendo übernehmen, um gemeinsam mit dem Holz ein ausgewogenes, optimal ausbalanciertes Orchestercrescendo zu gestalten. Tragen Sie durch permanentes Training dazu bei, hier eine neue, ausgewogene Klangqualität entstehen zu lassen.
4. Kontrollieren Sie immer, was in der Partitur Hauptsache und Nebensache ist und helfen Sie den Musiker:innen, das zu hören. Besser ist es, die einzelnen Stimmen „flirten“ miteinander, als untereinander zu konkurrieren. Erklären Sie, an welcher Stelle in der Partitur es musikalisch zusammenhängende und bedeutende Querverbindungen, Schattierungen, Andeutungen, Imitationen, Echowirkungen etc. (in den einzelnen Stimmen bzw. Registern) gibt. Suchen Sie danach und helfen sie den Musizierenden, diese und andere wichtige Details hörend zu entdecken. Beachten Sie dabei auch, dass z. B. dynamische Abstufungen oft abhängig von der Satzfolge eines Stückes sein können (ein Forte im ersten Satz muss nicht die gleiche Intensität im zweiten oder dritten Satz haben).
5. Achten Sie auf gute Literatur für Ihre Holzbläsergruppe, insbesondere für die Klarinetten. Je besser und leichter sie in ihren guten Tonlagen spielen können, desto entspannter und steuerbarer wird ihr Klang und umso besser ihre Intonation.

blasmusik Ausgabe 05-2021 | Autor: Stefan Kollmann
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