Das Instrument der Engel

Eine gewisse Experimentierfreude kann man dem Saxophonisten George Sax kaum absprechen – sowohl in musikalischer Hinsicht wie auch im „richtigen” Leben, beispielsweise beim „Skydiving“ mit dem Saxophon. Dabei fing der Musiker, der Wohnsitze in drei Ländern hat und in den letzten acht Jahren 25 Länder bereiste, ganz klein an. Damals ... als er sich als absoluter „No Name” in den Townships von Südafrika, in zwielichtigen „Imbissbuden”, die Seele aus dem Leib spielte.

Kaum ein Foto, egal ob auf Facebook oder Instagram, zeigt George Sax ohne sein Saxophon. Inwieweit sein Name die Wahl des Instruments beeinflusst hat – darüber kann man nur spekulieren. Sein erstes Saxophon jedenfalls war eine Leihgabe der High School. Das heiß geliebte Selmer-Sax wurde ihm von einem Altmeister des Jazz, Reg McKay, höchstpersönlich vor dessen Tod geschenkt. Viele reiche Sammler und Künstler hatten McKay exorbitante Summen für sein Saxophon geboten. Vergebens. McKay bestand darauf, dass Sax derjenige sein sollte, der das Selmer spielt. „Ich war zu dieser Zeit ein junger Künstler, der sich abmühte und kein Geld hatte. McKays Geschenk machte diesen Tag zum Zweitbesten meines Lebens!”

Sax versteht es wie kaum ein anderer, traditionelle Klangelemente mit groovigen elektronischen Tracks zu mischen. Das kommt an beim Publikum. „Ich mag es besonders, ähnliche aber dennoch unterschiedliche Grooves aus verschiedenen Kulturen zu mischen, wie Kwaaito und Reggaeton oder Afro-Beat und Bossa Nova mit deutschem Techno. Jazz ist immer ein guter Weg, um Menschen in der Musik zusammenzubringen.”

Den afrikanischen Jazz authentisch zu spielen, lernte Sax von Mike Makhalemele, Barney Rachabane, Chris Tokalon, George Lee, Ekkie Eckhart, Charlie Sayers, Allen Kwela, Big Voice Jack und Johnny Fourie. Auch Mac Mackenzie, McCoy Mrubata und Khaya Mahlangu beeinflussten ihn maßgeblich. An eine Geschichte aus dieser Zeit erinnert sich Sax besonders gerne. „Eines Abends erzählten sie mir, dass wir in einem Club in Hillbrow spielen sollen. Ich war enttäuscht von der Vorstellung, in einem zwielichtigen, leeren Imbisslokal zu spielen. Doch sie lachten nur. Im hinteren Teil des Clubs war eine Tür mit einem Augenschlitz drin. Wir gingen darauf zu und sie ließen uns hinein. Offensichtlich war dies ein illegaler Ort im Untergrund; die Drohung, dass die Polizei hereinplatzen und alle festnehmen würde, war ziemlich real. Die Leute waren sehr nervös, als sie mich dort sahen. Sie hatten keine Ahnung, wer ich war. Die Band brachte mich hinter die Bühne, wo sie mir erklärten, dass die meisten dieser Jungs „Umkhonto weSizwe“ seien, der militärische Arm der Organisation African National Congress, der sich gegen die Apartheid in Südafrika einsetzte, und gerade aus dem Gefängnis entlassen worden oder aus dem Exil zurückgekehrt seien. Sie waren wütend, aber wir wollten für sie spielen. Ich schloss meine Augen und spielte. Es war Ntyilo Ntyilo, die afrikanische Jazzballade, die sie für mich gewann. Danach spendierten mir alle ein Bier und nannten mich ‚Bruder‘; ich denke, sie konnten sehen, dass ich aufrichtig war und meine Musik von Herzen kam.”

George Sax hat viel gesehen. Er braucht den Input, die Herausforderung, den Kick, den ein neuer Ort oder eine neue Stadt ihm geben. Er reiste durch große Teile Europas, Afrikas und den USA, insgesamt waren es rund 25 Länder, entschlossen, sein Publikum mit seiner Musik zu beeindrucken. Das ist ihm gelungen. Er teilte sich die Bühne mit Größen wie Goldfish, Uhuru, Jack Mantis, Napalma und Mango Groove. Außerdem arbeitete er mit Loshalaba Reggae Penetration aus Botswana, der Havana Soul Band in Miami und der Band von Clifford Brown in Palma, Mallorca, zusammen. „Ich spiele auch gerne mit lokalen Bands,“ resümiert Sax, „so erlebe ich ihre Musik aus erster Hand und kann von ihnen lernen. Musik ist wirklich etwas Wunderbares! Sie ist eine universelle Sprache, die alle Kulturen verstehen und fühlen, egal was die Leute sagen, unsere Seele berührt die ihre!“

„.. lasst mich nur ein Lied spielen, wenn es euch nicht gefällt, werde ich sofort aufhören“

Auf seinen Reisen hat Sax eine Reihe von Anekdoten gesammelt. Zu seinen absoluten Favoriten gehört die mutige Art und Weise, wie er in die Clubszene auf Ibiza, seinem heutigen Hauptwohnsitz, eingebrochen ist. „Als ich 2012 auf Ibiza ankam, kannte ich keine Menschenseele. Ich beschloss, im besten Club der Welt zu spielen. Weil das Geld damals sehr knapp war, ging ich die zwei Stunden zu Fuß zum Pacha. Als ich ankam, gab es eine lange Schlange um den Block und der Eintritt kostete 80 Euro. Ich ging auf die Tür zu und sagte zum Türsteher: ,Ich bin George Sax aus Südafrika ... Ich bin hier, um zu spielen.’ Er ließ mich höflich herein und wünschte mir eine gute Show. Ich hatte Glück: Man kann für diesen Versuch ernsthaft verprügelt werden. Im Club, auf der Terrasse, sah ich die DJs Andy Norman und Mo'funk von Hed Kandi spielen. Ich fragte, ob ich mit ihnen ein Lied spielen könnte. Die Begeisterung hielt sich sehr in Grenzen. Schließlich sagte ich zu ihnen: ,Hört zu, lasst mich nur ein Lied spielen, wenn es euch nicht gefällt, werde ich sofort aufhören.’ Sie sagten zähneknirschend zu. Ich ergriff meine Chance und spielte einen Hammer-Song. Die Menge drehte durch – alle drängten sich zur DJ-Box – als ich mein Instrument weglegen wollte, sagten sie: ,Nein, warte, mach weiter!’ Also tat ich es. Der damalige Booker des Pacha fragte mich, was ich nächsten Freitag machen würde, und ich sagte: ,Ich schau mal in meinem Terminkalender nach.’ So kam ich in den exklusivsten Club der Welt.“

Heute ist George Sax sehr gut organisiert. Er hat seine eigene Firma, die George Sax Entertainment (GSE), gegründet und sein eigenes Musikstudio Saxlab eingerichtet. Dort schreibt er Musik, produziert Videos und nimmt auf. Saxlab ist mit seinen Plattenfirmen George Sax Records und THT Music verbunden, die er für die Veröffentlichung seiner Musik nutzt. „Um High-End-Kunden bedienen zu können, braucht man eine eingetragene Firma, um mit ihnen Geschäfte machen zu können. Die Hauptfunktion von GSE besteht darin, Arbeit für Künstler zu generieren. Alle Künstler auf der Website sind Menschen, mit denen ich in irgendeiner Form gearbeitet habe.“ Das Studio, die Labels und das Unternehmen werden in Zukunft mit der George Sax Foundation verbunden sein, die gegründet werden soll, um junge Talente in Südafrika zu fördern.

Zwischen all diesen Verpflichtungen fand George Sax dennoch Zeit, ein weiteres Mal Mut zum Risiko zu zeigen und ganz nebenbei noch einen Weltrekord aufzustellen. Mit Hilfe des Mother City Skydiving wagte er einen Tandemsprung aus 3.600 Metern Höhe. Doch damit nicht genug. Denn bei rund 195 km/h Fallgeschwindigkeit entlockte er seinem Saxophon noch ein paar Töne. Ein Rekord, der von der Parachute Association of South Africa bestätigt wurde. Sax erzählt über seinen Sprung: „Zuerst hatte ich mächtig Angst, ich war wie versteinert, als das Flugzeug mit offenen Türen abhob und fragte mich während des Aufstiegs, ob es überhaupt möglich sein würde, unter diesen extremen Bedingungen zu spielen. Bei dieser Geschwindigkeit kann ein Saxophon gefährlich werden. Wir hätten uns möglicherweise schwer verletzen können. Ich schloss meine Augen und stellte mir vor, ich würde eine riesige Arena betreten in der tausende begeisterte Fans meinen Namen skandieren. Da stellte sich eine unglaubliche Gelassenheit bei mir ein und ich konnte meine Engel spüren, ich schwöre es, ich hörte sogar Engelsstimmen. Der freie Fall war eine absolut magische Erfahrung. Nur für einen kurzen Moment hatte ich Angst, als sich der Fallschirm öffnete und mir das Saxophon gegen den Mund schlug. Ich blutete. Dann brach mein Rohrblatt und schnitt mir in die Lippe, außerdem sprengte die Kraft des Luftdrucks einige Polster und Korken von meinem Saxophon. Am Ende kam kaum noch ein Ton aus meinem Sax. Es war eine Wahnsinnserfahrung.”

Eine weitere prägende und sehr aktuelle Erfahrung sind für George Sax momentan die Auswirkungen der Coronapandemie. Eingeschlossen in seinem Studio in Johannisburg, produzierte er während des ersten Lockdowns Musik, bearbeitete Videomaterial, das er auf seinen Reisen gesammelt hatte und hielt über seine nachmittägliche Radiosendung auf www.muthafm.com Kontakt mit der Öffentlichkeit. Während des harten Lockdowns lieferte Sax medizinisches Material, Desinfektionsmittel und persönliche Schutzausrüstungen an Wohltätigkeitsorganisationen. „Der Lockdown ist für mich durchaus auch eine positive Erfahrung, da ich trainiert habe, mich gesund ernährte, übte, einen Nutzgarten anlegte und pflegte sowie meditierte. Ich musste einfach beschäftigt sein, um nicht darüber nachdenken zu müssen, wie der Lockdown unsere Bewegungsfreiheit einschränkt. Als Künstler ist es meine Pflicht, ein positives Bild in die Öffentlichkeit zu projizieren, egal was um mich herum passiert. Die Maßnahmen gegen das Virus erinnern mich immer auch an die Apartheid in Südafrika, wo es gegen das Gesetz war, dass wir uns frei bewegen und treffen konnten, wen wir wollten. Als Musiker jedoch fanden wir Wege, unser Publikum zu erreichen und den Menschen zu zeigen, dass Musik der größte Heiler von allen ist.“

Das Video zum Fallschirmsprung gibt es unter: https://www.youtube.com/watch?v=Rx4EkOGk8yo
Weitere Infos: http://georgesaxentertainment.co.za

blasmusik Ausgabe 01-2021 | Autor: Karin Wöhler
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