Die Klangschönheit der Klarinetten – Teil 1

Das Klarinettenregister als Hauptklangfarbe im sinfonischen Blasorchester 
TEIL 1

Mannigfaltige Aspekte über die vielseitige Verwendung des Klarinettenregisters, inspiriert durch das Online-Seminar mit Prof. Alex Schillings in der BDB-Online-Akademie. Zusammengestellt von Stefan Kollmann.

Für die meisten Dirigenten steht sicherlich fest: Das Klarinettenregister ist die primäre Klangfarbe eines modernen (sinfonischen) Blasorchesters in sogenannter Harmoniebesetzung. Ein gut entwickeltes Klarinettenregister, egal auf welcher Schwierigkeitsstufe, legt den Grundstein für ein farbenreiches Orchester-Klangbild. Viel zu oft sind die Klarinetten im Gesamtklang nicht gut, nicht prominent genug zu hören. Ist das Klarinettenregister deshalb in einer Krise, oder spielen die anderen Instrumentengruppen nur einfach zu laut? Oder gibt es andere Begründungen? Zu behaupten, dass die Klarinetten in einer Krise stecken, wäre zu einfach. Wir haben nicht unbedingt ein Problem in den einzelnen Klarinettenregistern unserer Orchester, aber bestimmt in der richtigen bzw. optimalen Notation für das Klarinettenregister. Das heißt: Die Stimmen für das Klarinettenregister so zu notieren, dass sie bestmöglich klingen können – und das ungeachtet des Niveaus, von der Unterstufe bis zur Höchststufe!

In der Beschreibung des Online-Seminars hieß es u. a:
Beim kritischen Betrachten vieler neuer Blasorchester-Partituren erkennt man häufig, dass das Klarinettenregister nicht gut instrumentiert ist. Die 2. und 3. Klarinetten spielen viel zu oft in ihrem schlechtesten Register und können sich deshalb nicht optimal im Klang entwickeln. Daraus ergibt sich die Frage: Verliert die Hauptklangfarbe der europäischen Blasmusik ihre Bedeutung?

Dabei ist es nicht entscheidend, welchen Komponierstil man verwendet: Ob lieber im französischen, spanischen oder englischen Stil, das ist reine Geschmackssache. Vielmehr ist es wichtig, das Klarinettenregister in einer Lage zu instrumentieren, in der es sich bestmöglich entfalten kann. In vielen neuen Kompositionen erkennt man zu oft das Problem, dass die Klarinetten nicht gut orchestriert und in der Partitur nicht optimal eingesetzt sind. Die Vorteile und guten Einsatzmöglichkeiten der Klarinetten im modernen Blasorchester sind nicht optimal umgesetzt. Oftmals sind sie als Gruppe, als Register auseinandergerissen, dazu leider viel zu häufig mit fast unmöglichen Artikulationen versehen, die dann unweigerlich einen bestimmten Klang forcieren, den man im Grunde so nicht hören möchte. Die Schwierigkeit der geschickten Instrumentation des so wichtigen Klarinettenregisters scheint ein länderübergreifendes, vielleicht auch europäisches Problem zu sein.

Ziel in dem oben erwähnten Online-Seminar war es u. a. mithilfe von einigen Partiturausschnitten und Hörbeispielen genau dieses Problem aufzuzeigen und natürlich unterschiedliche, praxiserprobte Lösungsansätze anzubieten.

Wichtige Fragen dabei sind:

  • Wie setzt man das Klarinettenregister in einer Partitur optimal ein?
  • Mit welchen Funktionen kann man die Klarinetten ausstatten?
  • Welche Rolle sollte das Klarinettenregister sinnvollerweise im heutigen Blasorchester übernehmen?


1. Historische Entwicklung der Klarinette

Um die Wichtigkeit und Bedeutung der Klarinetten im Blasorchester – und letztlich auch die Entwicklung und Entstehung der Funktion als Hauptklangfarbe im heutigen Blasorchester – besser zu verstehen, lohnt sich ein umfangreicher Blick in die Geschichte.

In der Barockepoche standen die Doppelrohrinstrumente (Oboen und Fagotte), das sog. Schalmeienregister, im Vordergrund. Das war auch in Frankreich so, z. B. am Hofe des Königs Louis XIV, in der sogenannten Grande Écurie (versch. Ensembles mit berühmten Musikern wie u. a. Marc-Antoine Charpentier). Dort hatte man mitunter 12 bis 24 Doppelrohrinstrumente in verschiedenen Bläserensembles besetzt. In der Barockzeit – auch in den Suiten von Johann Sebastian Bach – waren die Doppelrohrinstrumente die absolute Hauptklangfarbe. Dazu kamen natürlich die Traversflöten oder Blockflöten (wobei diese z. B. für Open-Air-Konzerte eher ungeeignet waren). Man hat also hauptsächlich Oboen und Fagotte eingesetzt, die dadurch die prominente Klangfarbe in den „Blasorchestern“ der Barockepoche darstellten. Diese Instrumente wurden ziemlich direkt artikuliert und hatten oft einen schmalen und eher harten, unflexiblen, direkten Klang. Man erweiterte deshalb das Oboenregister durch die „Oboe d´amore“, „Oboe da caccia“ und „Altoboe“ (quasi Englischhorn). Dieses sogenannte Consort (Familie) hatte einen enormen Einfluss auf Komponisten wie Händel und Bach bezüglich der Wahl von Klangfarben für ihre Kompositionen. Die Doppelrohrinstrumente blieben zunächst die primäre Klangfarbe für die Bläsersektion. Im Grunde ging es insbesondere bei den Blasinstrumenten immer um die Fähigkeit, die menschliche Stimme möglichst klangschön nachzuahmen. Im Zeitalter des Barocks sah man im Klang der Oboe die treffendste Wiedergabe der Sopranstimme, während das musikalische Rokoko (Vorklassik) diese Eigenschaft eher der Flöte zuwies. Die Suche nach neuen Klangmöglichkeiten schritt weiter voran, u. a. durch den Nürnberger Instrumentenbauer Johann Christoph Denner (1655–1707), der das sogenannte „Chalumeau“ in seinem damaligen begrenzten Tonumfang zu erweitern versuchte.

Durch verschiedene technische Änderungen (Mensur, Stürze, Birne etc.) und das Erschließen des Überblasregisters gelang es später seinem Sohn Jacob Denner eine „Dreiklappenklarinette“ herzustellen, die relativ schnell Verwendung in der europäischen Orchestermusik fand. Es ist davon auszugehen, dass die Klarinette in der Frühzeit ihrer Entwicklungsgeschichte als Ersatz für die „Clarintrompete“ gebraucht worden ist. Die überblasenen, hohen oder sehr hohen Töne erhielten wegen des Klanges, der offensichtlich an das sogenannte „Clarinspiel“ auf der Barocktrompete erinnerte, den Namen „Clarin-Register“. Aus dieser Bezeichnung ist wahrscheinlich auch der spätere Name „Clarinett“ entstanden. Darüber hinaus fanden damals offensichtlich viele Instrumentalisten, dass diese „Clarinett“, eher als die Oboe, dem Klang der menschlichen Stimme entspricht. Durch die klanglichen und technischen Verbesserungen begann die Klarinette in zunehmendem Maße die Oboe und auch die Flöte von ihrer Position als führende Holzblasinstrumente zu verdrängen.

Carl Philipp Emanuel Bach, sein Bruder Johann Christian Bach, Johann Melchior Molter, Georg Friedrich Händel und Jean Philipp Rameau, sie alle schrieben Werke mit und für die neue Klarinette. Durch Rameau fand die Klarinette sogar Eingang in die französischen Opernorchester und eroberte sich dadurch einen sehr wichtigen zukünftigen Wirkungsbereich. Diese Entwicklung steht u. a. auch in engem Zusammenhang mit der sogenannten „Mannheimer Schule“, (Mannheimer Hofkapelle, heute Nationaltheater Mannheim) die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts großen Einfluss auf die europäische Musikentwicklung, vor allem im Bereich der Orchestermusik nahm. Für die Verbreitung der Klarinettenliteratur und der Verwendung der Klarinetten ist die Mannheimer Hofkapelle von so entscheidender Bedeutung, dass man lange Zeit hier den Ursprung für diese Entwicklung gesehen hat. Man kann von Folgendem ausgehen: Die Verwendung der Klarinette wurde als ein wesentliches Merkmal des sogenannten und mehrfach gerühmten „Mannheimer Orchesterklangs“ empfunden. Zusätzlich wurden in Mannheim auch bedeutende Klarinettenkonzerte komponiert, u. a. von Karl Stamitz, Ernst Eichner und Georg F. Fuchs.

Mozart soll sich über jede Gelegenheit, Klarinetten verwenden zu können, gefreut haben

1787 wurde die Klarinette in Wien offiziell in die Hofkapelle aufgenommen. Kurz zuvor erschienen die ersten Handbücher zum Erlernen des Klarinettenspiels. Die wahrscheinlich früheste Klarinettenschule im eigentlichen Sinn erschien 1785 in Paris, der Autor – ein französischer Militärmusiker – hieß Armand Jean François Joseph Vanderhagen (1753–1822). Dadurch wurde eine Basis für viele spätere Lehrwerke dieser Art geschaffen. Viele Komponisten, u. a. auch Beethoven, benutzten diese neue Klangfarbe in ihren Kompositionen immer häufiger und schrieben mitunter wunderschöne Melodien und besondere Stimmen in ihren Sinfonien, Klavierkonzerten, Violinkonzerten u. Ä. – nicht zu vergessen die Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, z. B. das berühmte Klarinettenkonzert in A-Dur (1786), die „Gran Partita“ mit Klarinetten und Bassetthörnern u. v. m. Mozart, der die Bekanntschaft mit der Klarinette in der Mannheimer Hofkapelle gemacht haben dürfte, soll sich über jede Gelegenheit gefreut haben, Klarinetten verwenden zu können. Er schrieb viele seiner Werke für den überaus berühmten Wiener Klarinettenvirtuosen Anton Stadler, der zusammen mit seinem Bruder Johann Mitglied der „Kaiserlichen Harmonie“ und später der „Wiener Hofkapelle“ war.

Anfang des 19. Jahrhunderts (bis 1834) stand Heinrich Joseph Baermann an der Spitze der europäischen Klarinettenvirtuosen. Er war 1. Klarinettist in der Münchener Hofkapelle unter König Maximilian I. Seine technische Brillanz und sein Kunstsinn verhalfen ihm zu internationaler Anerkennung. Die Begegnung u.a. mit Carl Maria von Weber führte zu den großartigsten Kompositionen, die je für Solo-Klarinette geschrieben wurden. Sein Sohn Carl, mit dem er auch viele Konzerttourneen absolvierte, war sein berühmtester Schüler, der sich später auch der Veröffentlichung vieler Lehrwerke widmete.

Insbesondere in der französischen Militärmusik (die auch immer ein Vorbild für die europäische Amateurmusik war) konnte die Klarinette mittlerweile eine führende, prominente Position einnehmen. Bedeutende Musiker und Dirigenten wollten unbedingt eine neue Melodiegruppe in den Blasorchestern installieren. Durch technische Überlegungen änderte man die C-Klarinetten in B-Klarinetten und aus der F-Klarinette wurde die Es-Klarinette. Es folgen noch einige wichtige technische Erneuerungen, insbesondere in der Grifftechnik, u. a. durch das sogenannte „Böhm-System“ und das „Deutsche System“, die den Triumphzug der Klarinette weiter vorantrieben und unterstützten. Jetzt war es üblich, links von dem Dirigenten nicht mehr die Doppelrohrinstrumente zu platzieren, sondern die Klarinetten, die nun in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Hauptklangfarbe im großen Blasorchester übernahmen.

Wenn man die Entwicklung der Profi-Blasorchester, also der Militärblasorchester, damals in Europa miteinander vergleicht, dann erkennt man, dass in Deutschland, Belgien (ab 1830), den Niederlanden etc. das Klarinettenregister bereits sehr früh eine wichtige Rolle als Hauptgruppe – oder besser als Hauptklangfarbe – im Blasorchester übernommen hatte und als solche auch etabliert war. Es gab noch die traditionelle Besetzung mit Solo-Klarinetten und 1., 2., 3. Klarinetten, manchmal sogar 4. Klarinetten, was sich dann erst nach 1970 änderte. Erst dann verständigten sich die meisten Komponisten und Blasorchester-Verlage darauf, aus Gründen der Vereinfachung künftig möglichst nur noch einen dreistimmigen Klarinettensatz einzusetzen. Diese Idee wurde auch von vielen Komponisten in den USA übernommen, allerdings ohne die bis dahin oftmals übliche Verbindung und unterstützende Funktion zwischen dem Klarinettenregister und dem tiefen Holzregister (Bassklarinette, Fagott, Baritonsaxophon). Auch die wichtige Verbindung bzw. Anbindung an das sogenannte weiche Blechregister (Flügelhorn, Hörner, Tenorhorn, Bariton – man sagt in den Niederlanden auch Saxhörner zu diesem Register) – wurde nicht beachtet. Die Idee war jetzt, dem tiefen Holzregister eine andere Funktion zu geben, nämlich nicht mehr die Unterstützung und Klangverstärkung für das Klarinettenregister, sondern eigentlich ausschließlich die einer verdoppelten Bassfunktion. Aber genau diese Funktion der Saxhörner, des weichen Bleches (s. o.) bzw. des tiefen Holzregisters, nämlich als Unterstützung, Bereicherung und Klangverstärkung des Klarinettenregisters ist so bedeutsam und entscheidend. Diese Register können der Klangfarbe des Holzes eine unbeschreiblich schöne, neue Klangdimension geben. Dafür sollen später noch mehrere Beispiele folgen.

2. Klangfarbenvielfalt durch das Klarinettenregister

Ein typisches, in diesem Fall sehr gutes Beispiel für Klangfarbenvielfalt im Klarinettenregister ist das „Divertimento for Band“ von Vincent Persichetti: Vincent Persichetti, kompositorisch sicherlich u. a. stark beeinflusst von Igor Strawinsky und Aaron Copland, befreundet mit Leonard Bernstein und George Gershwin, schrieb dieses klangfarbenintensive Werk im Jahr 1950. Es war seine erste Komposition für Blasorchester, die er Dr. Edwin Goldman und seinem berühmten Blasorchester widmete. Diese Art der Instrumentierung, wie sie Persichetti hier anwendet, mit der Farbenvielfalt und mit den o. e. Klangverstärkungen durch die einzelnen Register, findet man heute viel zu selten.

2.1. Die Unterscheidung zwischen scharfem und weichem Holz

Zur genaueren Unterscheidung der Holzbläser (tiefe und hohe Holzbläser) verwendet man in den Niederlanden bzw. in den Benelux–Staaten gerne auch die Bezeichnungen „scharfes und weiches Holz“, wobei man gleich darauf hinweisen muss, dass das scharfe Holz auch sehr weich spielen kann, was wiederum abhängig ist von dem Verständnis für variantenreiche Artikulation und von dem Niveau der Spieler:innen. Mit scharfem Holz sind folgende Instrumente gemeint: Piccolo, Oboe, Es-Klarinette und Fagott. Demgegenüber meint man mit weichem Holz die Flöten, B-Klarinetten und Saxophone. Hinzu kommt die Tatsache, dass man bei diesen Instrumenten auch unterscheiden kann zwischen den Einzelblattinstrumenten (Klarinetten und Saxophone) und den Doppelblattinstrumenten (Oboe und Fagott), was wiederum zwei sehr unterschiedliche Klangfarben darstellt. Jetzt kann man versuchen, interessante Klangmischungen zu erzeugen, wie es Persichetti im oben erwähnten Beispiel auch macht, indem man dem bestimmten Klang vom weichen Holz einige Instrumente wie Piccolo, Oboe, Es-Klarinette und Fagott hinzufügt.

2.2. Flexibilität in der Artikulation

Ein Instrument, das ständig zwischen den beiden Gruppen (scharf und weich) wechseln muss und daher große Flexibilität mitbringen muss, ist die Es-Klarinette. Die Musiker:innen an diesem Instrument müssen eine sehr hohe Qualität und die o. e. variantenreiche Flexibilität für die unterschiedlichsten Artikulationen besitzen und anwenden können. Es gilt z. B. eine sehr weiche Spielweise auszuwählen, wenn es darum geht, die B-Klarinetten zu unterstützen und mit deren Klang zu verschmelzen. Oder aber sie „flirtet“ klanglich mit den Flöten und bringt dadurch eine bestimmte Klangfarbe in den Flötenklang. Sie könnte auch die Flötengruppe mit Piccolo und Oboe verstärken und vielleicht so versuchen, einen eher schärferen Klang entstehen zu lassen. Man kann so die Klangfarbe der jeweiligen Register enorm beeinflussen und steuern. Das ist dann immer auch eine Frage der individuellen Klangvorstellungen und des Geschmacks.

Noch eine kleine Ergänzung zu den Flöten: Die Flöten werden dem weichen Holz zugeordnet und können auch unbeschreiblich indirekt (noch indirekter als eine Klarinette) artikuliert werden. Hinzu kommt eine neue Dimension bzw. ein neuer Aspekt: Der Einfluss der Instrumente, die ein effektvolles Vibrato erzeugen können. In dem o. e. Beispiel und Partiturabschnitt von Persichetti ist das sicherlich keine Frage, aber die Bedeutung und die Wirkung der Instrumente, die mit Vibrato spielen können, ist enorm.

Das Online-Seminar „Das Klarinettenregister in der Krise“ mit Prof. Alex Schillings ist abrufbar auf Youtube unter: https://www.youtube.com/watch?v=BrSO3Y1Z7Rk

 

blasmusik Ausgabe 02-2022 | Autor: Stefan Kollmann
Zum digitalen Kiosk geht es hier: epaper.blasmusix.de

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