DigiEnsemble – Apps als Musikinstrumente

Mit dem digitalen Fortschritt und den damit einhergehenden (nahezu) unendlichen Möglichkeiten geht auch das Musizieren neue Wege: Das 2010 von Matthias Krebs gegründete DigiEnsemble Berlin zeigt, wie Konzertauftritte gespielt auf Tablets funktionieren können. Hierbei verwenden die professionellen Musiker:innen ausschließlich Apps, die für jeden erhältlich sind und decken dabei die Potenziale auf, die in alltäglichen Smartphones und Tablets stecken. Doch klingt der Sound über die Musikapps wirklich musikalisch überzeugend? Was ist der Reiz am digitalen Musikmachen?

Als Matthias Krebs bei einem Forschungsprojekt 2009 ein iPhone in die Hände fiel, stellte er schnell fest, dass dieser Technologie ein leistungsfähiges und vielseitiges Potenzial zum Musikmachen innewohnt. Zusammen mit Studierenden erprobte er in Seminaren an der Universität der Künste Berlin erste Musiziermöglichkeiten mit dem eigentümlichen Instrumentarium, woraus erste Konzerte als iEnsemble hervorgingen – eine Vorläuferformation des DigiEnsemble Berlin.

Doch wurde auch deutlich, dass Musikapps zwar viele unterschiedliche Ansätze offerierten, mit Klängen zu arbeiten, jedoch Konzepte für das gemeinsame Musizieren erst neu ersonnen werden mussten. „Die Wahrnehmung der Mitspielenden und die Selbstwahrnehmung sind mit digitalen Instrumenten doch anders“, so Krebs. Um dieses neue Feld aus verschiedenen musikalischen Perspektiven breit zu beleuchten, hat Matthias Krebs bei der Gründung des DigiEnsemble Berlin versucht, versierte Musiker:innen mit unterschiedlichem musikalischem Hintergrund zu gewinnen: Ein Heavy-Metal-Gitarrist, eine Querflötistin, ein Opernsänger, ein Organist, ein Posaunist, ein Schlagzeuger und ein DJ erkundeten schließlich gemeinsam, wie mit Apps interessant klingende Musik auf die Bühne gebracht werden kann.

Anfangs war es schwierig, die Vielfalt an diversen Designs der Apps sowie die verschiedenen musikalischen Vorstellungen der Beteiligten aufeinander abzustimmen. Daher einigten sich die Mitglieder darauf, ihre Entdeckungsreise bei bekannten Musikstilen zu beginnen, um eine Orientierung zu haben: vom „klassischen“ Streichorchester über Balkan-Pop bis hin zu Heavy Metal und experimenteller Musik. Nach und nach wurden dabei verschiedene Spieltechniken entwickelt, bis schließlich auch Eigenkompositionen und Avantgarde-Projekte in Angriff genommen wurden. Seit 2011 spielt das DigiEnsemble Berlin etwa 10 bis 15 Konzerte im Jahr, darunter waren Auftritte im Gewandhaus Leipzig oder bei Veranstaltungen in der Botschaft in Kairo. Meistens werden sie bei größeren Gala-Events von Unternehmen wie BMW, Siemens, Telekom oder Deutsche Bank gebucht, aber auch bei vielen Preisverleihungen oder Kirchentagen. Wahrscheinlich sind sie die meist gebuchte professionelle Tablet-Band.

Über die Jahre haben sich die Möglichkeiten des digitalen Instrumentariums stark verändert. Krebs erklärt: „Heute gibt es eine Vielzahl an Musiker:innen, die Apps in ihre künstlerische Tätigkeit integrieren. Ich beobachte, wie sich dabei virtuelles und herkömmliches Instrumentarium in den unterschiedlichsten Musikprojekten mehr und mehr gegenseitig ergänzen und teilweise sogar miteinander verschmelzen. Eine Entwicklung, in der die Grenzen zwischen Musikkulturen nach und nach aufgeweicht werden können und spannende neue kreative Ansätze entstehen. Man kann sagen, dass Musikapps beim Experimentieren mit digitalen Sounds eine zentrale Rolle spielen und sich geradezu zu einer Art ‚Volksinstrument‘ entwickelt haben. Sie finden als Klangerzeuger, Spieloberflächen, Effektgeräte und mobiles Studio Verwendung. Schließlich bieten sie für viele eine ganze eigene Art und Weise, sich musikalisch zu betätigen, mit interessanten musikalischen Gestaltungs- und Erfahrungsmöglichkeiten.“

Wie kann ein Live-Auftritt auf der Bühne mit Tablets und Smartphones aussehen?

Wie genau kann man sich das Musizieren via Tablet vorstellen? Bei digitaler Musik denkt man zunächst einmal an Vorbilder aus der Welt der elektronischen Musik wie z. B. Kraftwerk. „Wie wir unsere Musik auf der Bühne präsentieren, war von Anfang an eine große Herausforderung“, so Krebs. „Zum einen mangelte es an geeigneter Bühnentechnik für unsere mobilen Geräte, schon Kabel waren kaum zu kaufen. Andererseits musste ausprobiert werden, wie neben gutem Klang auch das gegenseitige Hören auf der Bühne gewährleistet werden kann, um miteinander zu musizieren. Zudem wurden unsere Auftritte anfangs vom Publikum nicht als Live-Auftritte verstanden“, so Krebs weiter. „Viele vermuteten, dass wir einfach vorgefertigte MP3- Musik auf den Geräten abspielen würden und uns irgendwie komisch dazu bewegen. Dabei spielten wir alle Töne nach Noten.“ Dem wurde entgegengewirkt, indem sie mit vielen Kameras arbeiteten, die Einblick in das Spiel mit den Fingern auf dem Touchscreen gaben und zeigten, dass die Musik ganz instrumental gespielt wird.

Ging es zu Beginn darum, Wege und (technische) Mittel zu finden, miteinander via App musikalisch zu interagieren, so wurden die Ideen nach und nach kreativer und Wege gefunden, das Smartphone auch z. B. als eine Art „Klanghandschuh“ nutzen zu können, um – ähnlich wie ein Dirigent agierend – Melodien im Raum wedelnd zu spielen. Jedoch üben die Musiker:innen nicht nur ihr Instrument. Sie müssen auch zu Instrumentenbauern werden. Anstatt einzelne Apps zu nutzen, werden von den Mitgliedern des DigiEnsemble mehrere Musikapps miteinander kombiniert. Bis zu 20 Apps werden auf einem Tablet gleichzeitig genutzt: eine als Spielinterface, mehrere als Klangerzeuger, als Effektgeräte sowie auch als Mischpulte und Looper. Bei den gemeinsamen Proben müssen sich die individuellen Setups bewähren und werden zwischen den Proben weiter angepasst, bis sie den Ansprüchen des jeweiligen Ensemblemitglieds an sein Instrument genügen.

Welche Apps gibt es?

Bereits 2009 war die Auswahl an Apps, die ihre Entwickler:innen in der Kategorie Musik des App Stores einstellten, groß. Anfangs waren viele noch ziemlich experimentell, funktionierten teilweise nicht zuverlässig und ihr Funktionsumfang und die Klangqualität waren eingeschränkt. Aber das hat sich schnell weiterentwickelt. Mittlerweile sind weit über 60.000 verfügbar und lassen sich grob unterscheiden in Apps, um Musik zu konsumieren, Apps die als Hilfsmittel genutzt sowie solche, die als mobile Studios oder eben als Musikinstrumente eingesetzt werden. Letztere sind für die Musiker:innen des DigiEnsembles Berlin von Bedeutung. So lässt sich z. B. in Kombination mit den Apps GeoShred Pro, Korg Gadget und AUM wirkungsvoll, expressiv und virtuos musizieren.

Die Besetzung des DigiEnsembles hat über die Jahre mehrmals gewechselt. Die Profis „reizt die Vielseitigkeit des App-Instrumentariums. Wir finden immer wieder neue Herausforderungen, um uns intensiv mit den Instrumenten zu beschäftigen. Dazu gehört viel Üben und damit ist nicht gemeint, dass wir Apps ‚ausprobieren‘. Um professionell zu spielen, geht es darum, Spieltechniken zu entwickeln, also körperlich sicher zu werden mit den Instrumenten. Immerhin spielen wir nicht einfach ein Mischpult, sondern ein grafisches Spielinterface, wobei wir neben dem Touchscreen auch mit verschiedenen anderen Sensoren arbeiten, die in die handelsüblichen Tablets integriert sind, z. B. das Mikrofon als Blassensor oder der Kompass zur Steuerung von Tonhöhen.“

Können die Apps jedoch wirklich alle Instrumente nachempfinden? „Klar ist, dass das Original immer das Original bleibt“, so Krebs dazu, „also die Querflöte immer die besten Querflöten-Töne hervorbringen kann. Wir haben uns lange klassische Musik zum Vorbild genommen, um wirklich ausdrucksvolle Spieltechniken zu lernen. Aber wir wollten damit in erster Linie Musik machen und nicht eine Flöte oder andere vorhandene Instrumente bloß imitieren.“ Ein Beispiel? „Ein Höhepunkt unserer Aneignungsphase des ‚Neuen‘ war das Konzert mit dem MDR-Sinfonieorchester im Gewandhaus unter der Leitung des bekannten Dirigenten Jun Märkl. Wir haben in diesem musikalischen Experiment alle Solo-Instrumente übernommen und gefühlvoll mit Bewegungssteuerung die Instrumentenstimmen gespielt, jedoch hat das im Publikum kaum jemand verstanden, was da auf der Bühne lief ( https://youtu.be/SngPaTYTfqw ). Ein anderes Experiment war dann auch die Arie „Großer Herr“ aus dem Weihnachtsoratorium. Wir hätten selbst nicht geglaubt, dass wir 2012 eine so dynamische und virtuose Interpretation auf die Bühne des Berliner Doms bringen können“, so Krebs. Die Ergebnisse lassen sich auf YouTube bestaunen (siehe untenstehende Infobox).

Die hochleistungsfähigen Tablets bieten zahlreiche Möglichkeiten. Doch fühlen sich die Musiker:innen des DigiEnsemble Berlin auch nach Jahren noch als Amateure. Dabei ist die Klangerzeugung anders als bei „analogen“ Instrumenten, die Spontaneität ist nicht mit den Möglichkeiten zu vergleichen, die Musizierende haben, die ihr Instrument schon seit ihrer Kindheit spielen. Geht aber nicht auch etwas vom Klang- und Hörempfinden im Vergleich zu „handgemachter“ Musik verloren? „Diese Frage wird gerade von einigen Wissenschaftler:innen beforscht. Es zeichnet sich dabei ab, dass sich die Wahrnehmung verändert, aber wohl nicht darunter leidet und verkümmert. Denn schließlich kann digitales Musikmachen (ebenso) sinnlich-körperlich und virtuos sein“, erklärt Matthias Krebs. Wie sehen die Pläne der Musiker:innen vom DigiEnsemble Berlin für 2021 aus? Ganz der digitalen Linie treu bleibend, musizieren die Ensemble-Mitglieder aufgrund der Corona-Pandemie derzeit regelmäßig über die Open-Source Online-Musiksoftware Jamulus miteinander. Sie machen die Not zur Tugend und laden auch andere Musiker:innen ein, so entstehen gerade wieder viele neue Konzertideen.

Das Repertoire des DigiEnsembles Berlin:

Eine Auswahl an Musikstücken des DigiEnsembles Berlin ist auf YouTube abrufbar, darunter vor allem Cover-Stücke, Konzertmitschnitte und auch Experimentelles.

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blasmusik Ausgabe 05-2021 | Autor: Anette Weigold
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